Auf den Müllhalden stapeln sich unsere Kleiderspenden. Eine Ingenieurin will ihr Land davon befreien

Am Rande des ostafrikanischen Grabens1 in Kenia, eine halbe Autostunde von der Hauptstadt Nairobi entfernt, liegt das Kinderheim Karai Munsingen. Es wurde mit Spendengeldern aus Deutschland finanziert. Der Wind bläst vom kenianischen Hochland in Richtung des Grabens und weht in den Trockenmonaten so viel Staub mit auf, dass er das gesamte Gebiet um das Waisenheim damit bedeckt.

So wie alle Bewohner:innen der Gegend kämpft auch das Personal des Kinderheims regelmäßig mit dem Wind. Zusätzlich steht es vor Finanzierungslücken. »Im Februar und März wird es am schlimmsten, da kann man kaum etwas sehen«, sagt Juliet Gikunda, eine Betreuerin des Waisenhauses.

Um sich vor den widrigen Bedingungen zu schützen, suchte die Kinderheimleitung einen ungewöhnlichen Ort auf: die Dandora-Mülldeponie. Nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) fallen auf dieser Deponie täglich 850 Tonnen Abfall an – eine eher bescheidene Schätzung. Hier werden alle Arten von Abfällen abgeladen, die meisten davon Kunststoffe. Die Stadtverwaltung hat wenig Absichten, diese potenzielle Recycling-Goldmine zu nutzen. Ausgerechnet hier, auf der 30 Hektar großen Mülldeponie, fand das Kinderheim Karai Munsingen eine Lösung für sein Problem.

Eine Frau geht an den Müllbergen der Dandora-Mülldeponie in Nairobi vorbei.

Copyright Brian Otieno | Fuller Project

Die ständige Staubgefahr brachte Juliet und andere Betreuer:innen auf die Idee, zumindest die Veranden um das Heim herum zu pflastern, um den Kindern einen sichereren und saubereren Platz zum Spielen zu bieten.

Sie wandten sich dafür an Nzambi Matee, eine kenianische Ingenieurin und Unternehmerin. Ihr Start-up »Gjenge Makers« produziert Pflastersteine aus Sand und Plastikmüll von der Dandora-Mülldeponie.

Désiree Schneider erklärt, wie Plastikmüll als Baustoff verwertet werden kann, welche Vorteile und welche Grenzen diese Lösung hat und wie sie zum Beispiel in Indonesien umgesetzt wird:

Nzambi Matee hat einen langen Weg hinter sich: zu Beginn testete sie noch zusammen mit lokalen Maurer:innen verschiedene Plastiksteine im Garten ihres Elternhauses, heute besitzt sie eine moderne Fabrik im ausgedehnten Industriegebiet Nairobis. Für ihren Versuch, das Müllproblem in Kenia zu lösen, erntete sie weltweit Auszeichnungen und gewann den Preis des Umweltprogramms der Vereinten Nationen »Young Champion of the Earth« 2020.

»Bau dich auf«

Im Unternehmen »Gjenge Makers«, was auf Suaheli »Bau dich auf« bedeutet, arbeiten ein Dutzend Männer und Frauen – das Projekt hat also auch neue Arbeitsplätze geschaffen. Pflastersteine aus Plastik zu fabrizieren, ist kein komplizierter Prozess, verlangt jedoch Präzision und ein Verständnis der Materialwissenschaft.

Bei Gjenge Makers werden zunächst Verbraucher- und Industriekunststoffabfälle gesammelt und in Stücke zerkleinert. Dieses Material wird dann mit Sand vermischt und auf eine Temperatur von über 350 Grad Celsius gebracht. Dabei entstehen feste, faserähnliche Verbindungen, die aus dem Material einen Schlamm machen. Dieser wird mit einer vor Ort hergestellten Hochdruckmaschine gepresst und zum gewünschten Objekt geformt. Das Ergebnis: Ein Pflaster, das stabiler ist als Beton. Und billiger, fügt Nzambi hinzu.

Als Nzambi 2017 im Hinterhof ihrer Mutter mit ihren Forschungen begann, war es ihr Ärger über die Berge von Plastikmüll in vielen Teilen Nairobis und Kenias, der sie antrieb. Nach ihrem Studium an der Universität von Colorado Boulder nutzte sie die Chance und beschloss, sich der Herausforderung zu stellen. Sie orientierte sich dabei an ihrem großen Vorbild und ihrer Landesvetterin, der Nobelpreisträgerin Wangari Mathai.

Zu jener Zeit waren Einwegplastikabfälle in Kenia noch nicht verboten. Dieser Schritt kam erst später im Jahr 2017 mit der Einführung einer nationalen Umweltbehörde (National Environment Management Authority – NEMA). Vor dem Verbot wurden jeden Monat etwa 100 Millionen Einkaufstüten aus Kunststoff für Supermärkte und Einzelhandelsläden produziert. Doch auch das Verbot sorgte nicht für den gewünschten Effekt: Immer noch werden Millionen von Einwegplastikprodukten durch Kenias durchlässige Grenzen geschleust.

Zudem betrifft das Gesetz keine Plastikflaschen, die weiterhin das Entwässerungssystem des Landes verwüsten. Gerade diese Plastikflaschen nimmt das Unternehmen Gjenge Makers her, um seine Pflastersteine zu bauen.

Woher kommt all der Plastikmüll in Kenia?

Bis Nzambi zu einem Prototyp kam, führte sie fast 1 Jahr lang Experimente mit der Unterstützung von mehreren Maurer:innen durch. Sie wollte die beste Qualität und Größe der Steine für den kenianischen Markt finden. »Es war keine einfache Zeit, denn sogar meine Nachbarn beschwerten sich über den üblen Geruch meiner Experimente«, erinnert sich Nzambi. Doch jetzt hat sie ein Produkt, worauf sie stolz ist.

In einem Monat wandelt das Unternehmen 10–20 Tonnen Plastikabfälle in Pflastersteine verschiedener Farben um. Täglich produziert Gjenge Makers 1.500 Steine.

Diese Pflastersteine konnte das Unternehmen auch an das Kinderheim Karai Munsingen verkaufen. Und es beliefert weitere Abnehmer:innen in ganz Kenia. »Die Nachfrage ist groß, aber unsere Kapazität ist immer noch zu gering. Ich habe mehr Aufträge, als ich mit meinen Betriebsmitteln erfüllen kann«, sagt Nzambi dazu.

Eine Geisel des Plastikmülls

Trotz aller Bemühungen helfen die Pflastersteine nur begrenzt gegen das Müllproblem. Das Ausmaß an Abfällen im Land ist einfach zu groß. Im Jahr 2020 schlug Greenpeace International Alarm: Die USA wolle im Rahmen eines Handelsabkommens einen Teil ihres Plastikmülls in Kenia deponieren. Zwar bestritt das American Chemistry Council2 die Anschuldigungen, jedoch konnten die größten US-amerikanischen Zeitungen ein Schreiben des Direktors der Lobbyorganisation vorweisen, in dem er versucht, Kenia zum künftigen Drehkreuz für die Lieferung von Chemikalien und Kunststoffen in andere Länder Afrikas zu machen. Mit anderen Worten: Er wollte Kenia dazu bringen, US-amerikanischen Plastikmüll zu importieren und für den afrikanischen Kontinent weiterzuverarbeiten.

»Wir müssen Lösungen exportieren, anstatt daran zu denken, welche Probleme wir importieren«

Kunststoffabfälle werden nicht nur nach Kenia exportiert. Deutschland exportierte im Jahr 2021 mehr als 720.000 Tonnen Kunststoffabfälle, hauptsächlich in die Türkei. Das Land ist damit der größte Exporteur von Plastikmüll der Europäischen Union. Afrika erhält nur einen kleinen Anteil davon.

Der Charakter der Plastikexporte ändert sich laut einem neuen Untersuchungsbericht der Lobbygruppe Changing Markets Foundation gerade, da viele EU-Länder ihre Kleidung aus Plastik auf den Müll werfen. Laut der Untersuchung, die in der Umgebung von Kenias Mülldeponien durchgeführt wurde, enthält bis zu 1/3 der 112 Millionen Altkleider, die jedes Jahr aus der EU nach Kenia verschifft werden, Plastik. Zudem sind die Altkleider von so schlechter Qualität, dass sie sofort entsorgt oder verbrannt werden, um Wasser zu erhitzen, zu kochen und angeblich sogar um ein Kraftwerk zu betreiben.

Wie dämmen wir die Plastikmüllberge ein?

Wie wir die Lösung exportieren

Nzambi möchte sich nicht darauf beschränken, das Mülldumping aus Europa und anderen Ländern als Problem zu betrachten. Sie will stattdessen noch härter daran arbeiten, Lösungen gegen den bereits vorhandenen Plastikmüll zu finden. Dafür möchte sie mit anderen Verarbeiter:innen von Kunststoffabfällen im In- und Ausland zusammenarbeiten.

»Ich möchte die Technologie, die wir nutzen, mit anderen Menschen in Nairobi oder jeder anderen Stadt in Kenia und in ganz Ostafrika teilen. Wir müssen solche Lösungen exportieren. Das ist wichtiger, als daran zu denken, welche Probleme wir importieren.«

Juliet Gikunda, Betreuerin des Kinderheims Karai Munsingen, zeigt die Pflastersteine aus Plastik, die den Alltag im Waisenheim erleichtert haben.

Copyright Kimani Chege

Nzambi ist bereit, interessierten Unternehmen eine Lizenz für die Technologie zu vergeben, inklusive der Entwicklung der nötigen Maschinen. Dadurch müssten die anderen Unternehmen nicht extra Geld und Zeit investieren, um ähnliche Technologien von Grund auf zu entwickeln. Damit könnte schneller mehr bewirkt werden.

Die Arbeit von Gjenge Makers ist ein erster Schritt, um den Plastikmüll in Kenia zu reduzieren. Das Problem betrifft jedoch nicht nur das ostafrikanische Land, sondern die gesamte Erde.

Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur wurden in den Jahren 1950–2015 weltweit weniger als 10% der erzeugten 6.300 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle recycelt. Mehr als 60% des insgesamt hergestellten Kunststoffs auf der Welt befinden sich auf Mülldeponien oder in der Natur, einschließlich der Ozeane. Der Rest wurde verbrannt oder ist nicht von den Aufzeichnungen erfasst.

Im Kinderheim Karai Munsingen ist der Alltag für fast 100 Kinder mittlerweile nicht mehr so, wie er einmal war. Die Veranden des Waisenheims wurden umgestaltet und bieten nun besseren Platz zum Spielen. »Wir haben fast eine Million Kenianische Schilling (7.500 Euro) in die Pflastersteine investiert. Jetzt sind wir sehr froh, dass unsere Kinder nicht mehr komplett staubig oder, wenn es regnet, schlammig vom Spielen zurückkommen. Das war ein riesiger Wandel für uns«, sagt die Betreuerin Juliet Gikunda.

Übersetzung aus dem Englischen von Julia Tappeiner

Der Artikel erschien in seiner Originalfassung am 10. März beim Magazin Unbias the News, mit dem wir gemeinsam das Chain-Reactions-Projekt durchführen.

Dieses Projekt wurde vom European Journalism Center im Rahmen des Solutions Journalism Accelerator gefördert. Die Förderung wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.

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