Wie unsichtbare Gäste sitzen sie mit am Tisch. Während sich die Ministerien der Ampelkoalition derzeit darum streiten, wer im kommenden Jahr wie viel Geld ausgeben darf, warten sie einfach still und geduldig. Ihre Zeit wird kommen. Und zwar egal, ob sie von Finanzminister Christian Lindner (FDP) oder seinen Nachfolger:innen im Bundeshaushalt eingeplant werden oder nicht. Die Rede ist von den Kosten für die Folgen des Klimawandels.
Erhitzt sich die Erde ungebremst weiter, kann das in Deutschland bis zum Jahr 2050 gesamtgesellschaftliche Schäden von 900 Milliarden Euro verursachen. Durchschnittlich wären das über 30 Milliarden Euro pro Jahr. Das haben das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), Prognos und die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) im Auftrag der Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt errechnet. Würden die Kosten allein vom Bund getragen werden, würden sie damit einen Platz unter den 5 größten Posten im Bundeshaushalt einnehmen.1
Doch wie kommen die 900 Milliarden Euro zustande? Und wie aussagekräftig sind solche Zahlen?
Menschenleben haben kein Preisschild
Keine Frage: Auch Klimaschutzmaßnahmen kosten Geld. Windräder und Solarparks, E-Autos und Ladesäulen, neue Heizungen – für all das werden in den kommenden Jahren Milliarden Euro nötig sein. Daraus zu schlussfolgern, es lieber gleich zu lassen, ist allerdings ein gefährlicher Fehlschluss. Denn die Technologien helfen dabei, die Klimakrise zumindest teilweise abzumildern und unsere Lebensgrundlagen überhaupt zu erhalten. Außerdem können sie die zu erwartenden Kosten für Schäden senken und neue Jobs schaffen. Ohne Klimaschutzmaßnahmen wird es um einiges teurer.2
Doch wie viel die Folgen der Erderhitzung Deutschland und den Rest der Welt tatsächlich (bereits heute) kosten, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Unterschiedliche Modellrechnungen liefern unterschiedliche Ergebnisse.
Sie unterscheiden sich darin, welche Kosten in die Rechnung einbezogen werden. Zunehmende Dürren, Hitzewellen und Starkregenereignisse verursachen auf mehreren Ebenen Kosten, die nicht alle mit einem konkreten Preisschild versehen werden können. So lässt sich zum einen zwischen direkten und indirekten, zum anderen zwischen materiellen und immateriellen Schäden unterscheiden.
Zu den direkten, materiellen Schäden zählen unter anderem weggeschwemmte Häuser, zerstörte Stromleitungen oder Ernteausfälle durch Dürreperioden. Indirekte, materielle Schäden können zum Beispiel Produktionseinbußen sein, weil sich durch zerstörte Infrastruktur Lieferungen verzögern oder die Transportkosten steigen. Beide Faktoren waren im historischen Dürrejahr 2022 zu beobachten, als Flüsse wie der Rhein aufgrund von Wassermangel kaum noch schiffbar waren. Die deutsche Wirtschaft ist zudem stark in internationale Lieferketten eingebettet, was zu hohen indirekten Kosten führt – diese lassen sich aber schwieriger zuordnen und quantifizieren.
Zu den immateriellen, aber teils dramatischeren Folgen gehören Todesfälle durch Überschwemmungen und Hitze, psychische Belastungen, politische Instabilität und der Verlust von Artenvielfalt.
Die Analyse von IÖW, Prognos und GWS versucht, die volkswirtschaftlichen Folgekosten und die immateriellen Schäden von Extremwettereignissen systematisch und umfassend darzustellen. Man muss sich allerdings klarmachen, dass es sich trotzdem nur um Schätzungen und mögliche Szenarien handelt – nicht um genaue Vorhersagen:
Die Ergebnisse der Modellrechnungen und der Szenarioanalyse stellen keine Vorhersagen und Prognosen dar, sondern vermitteln einen Eindruck, was unter bestimmten Annahmen passieren könnte. Sie bieten Orientierung und dienen als Entscheidungshilfe für politische Maßnahmen zum Umgang mit Klimafolgen. – Aus der Zusammenfassung des Projekts »Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland«
Analysiert wurde dabei, was die Folgen der Klimakrise bereits gekostet haben (ex post) und welche Schäden noch auf Deutschland zukommen (ex ante).
Was hat die Klimakrise in Deutschland bisher gekostet?
Auch wenn der Blick in die Vergangenheit leichter ist als der in die Zukunft, bilden diese Zahlen die Kosten ebenfalls nur annähernd ab. So konzentriert sich die Analyse auf die klimawandelbedingten Extremwettereignisse in Deutschland seit dem Jahr 2000. Die Forschenden ermittelten für diesen Zeitraum Kosten von mindestens 145 Milliarden Euro, 80 Milliarden davon allein seit 2018.
Hochwasser und Überschwemmungen durch Starkregen verursachten mit rund 70 Milliarden Euro die meisten Kosten. Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 war mit mindestens 40 Milliarden Euro das bislang »schadenträchtigste Einzelereignis der deutschen Geschichte« – diese Zahl beruht auf vorsichtigen Annahmen, die unter anderem auf Versicherungsdaten zurückgehen. Folgekosten für den langfristigen Ausfall von Infrastrukturen sind darin nicht einbezogen.
Was die Todesfälle angeht, war diese Katastrophe ebenfalls extrem: Mit offiziell 183 Toten liegt deren Anzahl um 46 höher »als die Gesamtzahl aller durch ein Einzelereignis in Deutschland seit dem Jahr 2000 zu Tode gekommenen Personen«. Bei den Betroffenen hinterließ die Flut zahlreiche Traumata und andere psychische Belastungen.
Doch auch Hitze und Dürre haben verheerende Folgen für die Landwirtschaft, Wald- und Forstwirtschaft, ebenso für Industrie und Gewerbe. Da sie sich allerdings langsamer entwickeln und nicht wie bei Überschwemmungen regional und zeitlich begrenzt auftreten, fehlten bislang umfassende Untersuchungen. Die Studienautor:innen sprechen auch von stillem, unterschätztem Extremwetter. Sie beziehen die Folgekosten der Dürrejahre 2018 und 2019 deshalb nur exemplarisch in ihre Berechnungen ein.
Hitze ist in Hinblick auf die Gesundheit ebenfalls ein unterschätztes Extrem:
Auf Hitzeereignisse gehen 99% der mindestens 30.000 extremwetterbedingten zusätzlichen Todesfälle in Deutschland seit 2000 zurück. – Aus der Zusammenfassung des Projekts »Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland«
Wie hoch werden die Schäden der Klimakrise in Zukunft sein?
Weltweit hat sich die durchschnittliche Temperatur bereits um 1,1 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erhöht – in Deutschland sind es sogar 1,6 Grad Celsius. Für den Blick in die Zukunft spielen die Forscher:innen in ihrer Analyse 3 unterschiedliche Szenarien durch.
Jedes Zehntelgrad zählt
Je nachdem, wie sehr sich die Erde weiter erhitzt, fallen die Kosten durch Klimawandelfolgen für den Zeitraum 2022–2050 unterschiedlich heftig aus. Im teuersten Fall wären es mindestens 900 Milliarden Euro, im günstigsten 280 Milliarden Euro. Dabei fallen nicht in jedem Jahr die gleichen Kosten an. Das Modell geht davon aus, dass sie sich je nach Szenario jedes Jahr um das 1,5–5-Fache erhöhen. Der Grund: Extremwettereignisse werden immer häufiger und stärker. Bis Mitte des Jahrhunderts könnten sie rechnerisch jährlich eintreten.
Die Zahlen zeigen: Auch aus rein ökonomischer Sicht lohnt es sich, das fossile Zeitalter möglichst schnell zu beenden und die CO2-Emissionen herunterzufahren. Jedes Zehntelgrad zählt.
Und jetzt?
Ambitionierter Klimaschutz muss also nach wie vor oberste Priorität haben. Doch auch dann lässt sich der Klimawandel nicht mehr rückgängig machen, sondern nur noch eindämmen. Deshalb ist es wichtig, gleichzeitig in die Anpassung an Klimaveränderungen zu investieren. Auch damit haben sich die Forscher:innen beschäftigt.
Durch Kipppunkte und klimatische Wechselwirkungen im Erdsystem lassen sich die Auswirkungen der Klimakrise nicht genau vorhersagen. »Durch diese Unsicherheiten und Unwägbarkeiten unterscheiden sich Investitionen in die Klimaanpassung von anderen Investitionen«, schreiben die Autor:innen. »Eine exakte Kosten-Nutzen-Analyse ist vorab nicht möglich.«
Das heißt, es sind breitflächige Investitionen nötig, ohne vorab sicher zu wissen, wo und in welchem Ausmaß tatsächlich Extremwetterereignisse auftreten. Solche Investitionen können zum Beispiel in Pflanzenarten fließen, die widerstandsfähig gegenüber Klimaveränderungen sind; in effizientere Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft; in Häuser und Infrastruktur, die vor Hochwasser geschützt ist; oder allgemeiner in weitere Forschung.
Durch die Anpassung an den Klimawandel können die Kosten für mögliche Schäden je nach Szenario vollständig (schwacher Klimawandel), um 80% (mittlerer Klimawandel) oder um 60% (starker Klimawandel) reduziert werden.
Dabei können Klimaschutz und Klimaanpassung Hand in Hand gehen: Insbesondere naturbasierte Lösungen wie etwa die Kohlenstoffspeicherung in Vegetation und Boden durch den Erhalt von Wäldern oder Mooren können sowohl Treibhausgase mindern als auch zur Anpassung an Klimafolgen beitragen. – Aus der Zusammenfassung des Projekts »Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland«
Das Umweltministerium arbeitet derzeit bereits an einem Gesetzentwurf für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels sowie an einer langfristigen Strategie. Denn Analysen zu den Kosten von zukünftigen Ereignissen – und damit auch die Schlüsse, die man daraus zieht – sind zwar immer mit gewissen Unsicherheiten verbunden, egal wie gut ein Modell ist. Doch sie helfen dabei, unsichtbaren Gästen ein Gesicht zu geben und sich rechtzeitig auf sie vorzubereiten.