Wo Wasserstoff in Deutschland eine Zukunft hat – und wo nicht

Wasserstoff ist ein flüchtiges Gas. Mit bloßem Auge hat noch kein Mensch das unsichtbare Element gesehen. Mit der richtigen Technologie können wir es aber auf die eine oder andere Art sichtbar machen, wenn wir daraus Wärme, Strom, Bewegung oder vieles mehr erzeugen.

Ähnlich verhält es sich mit der Wasserstoffwirtschaft, einem auf Wasserstoff basierenden Energiesystem der Zukunft. Schon heute gibt es viele kleine Bausteine dafür – Brennstoffzellen, Pipelines und Wasserstoffheizungen. Wir können sie uns ansehen, testen und verbessern – doch wie sich die Teile eines Tages zu einem großen Ganzen zusammensetzen werden? Niemand weiß es so genau.

Dass Wasserstoff in Zukunft eine größere Rolle spielen wird, daran zweifelt kaum jemand. Und doch stehen sich in der Debatte – vereinfacht gesagt – 2 Lager gegenüber: Wasserstoffoptimist:innen und Wasserstoffskeptiker:innen.

  • Erstere sehen in Wasserstoff ein schier endloses Potenzial. Sie sind davon überzeugt, dass wir in Deutschland schon bald mit Wasserstoff heizen sowie unsere Züge, Autos und Flugzeuge betanken werden. Auch unsere Hochöfen, Chemieparks und Teile der Stromversorgung sollen auf Wasserstoff basieren. Der Energieträger soll all die vielfältigen Aufgaben übernehmen, die heute noch von Erdöl, -gas und Kohle erledigt werden – und viele weitere darüber hinaus.
  • Auf der anderen Seite stehen die Skeptiker:innen. Auch sie glauben an eine Zukunft mit Wasserstoff – allerdings in deutlich überschaubarerem Ausmaß. Sie sehen Wasserstoff als Ergänzung und finden es vor allem dort sinnvoll, wo es keine bessere Alternative gibt.

In welcher Form sich die Wasserstoffwirtschaft in Deutschland, Europa und der Welt letztlich materialisiert, wird von vielen Faktoren abhängen: technologischen Fortschritten, politischen Weichenstellungen und Geld. Klar ist: Die Wasserstoffwirtschaft kommt. Und in einer globalisierten Welt macht sie nicht Halt an den Grenzen von Nationalstaaten. Vielmehr werden sich ihre Energieflüsse rund um den Globus, durch Pipelines und über Schiffsrouten, über Gas-, Strom- und Straßennetze erstrecken.

Wie die Zukunft von Wasserstoff in Deutschland aussieht? Darüber habe ich mit 2 Experten gesprochen – einem aus dem Lager der Optimisten und einem Skeptiker. Außerdem habe ich mir ein Pilotprojekt angeschaut, das testet, wie das deutsche Gasnetz schrittweise auf Wasserstoff umgestellt werden könnte und was es dazu braucht.

Das Thema Wasserstoff ist Teil unseres Projekts »Chain Reactions«. Darin gehen wir zusammen mit unserem Medienpartner Unbias the News der Frage nach, welche Auswirkungen vermeintlich grüne Transformationen bei uns auf den Globalen Süden haben und umgekehrt. Im heutigen Beitrag geht es um die Frage, wie und wofür wir Wasserstoff hierzulande sinnvoll nutzen können. Im nächsten Beitrag werde ich der Frage nachgehen, woher Wasserstoff kommen soll. Unsere Partnerorganisation Unbias The News liefert in den nächsten Wochen Perspektiven aus Namibia und Nigeria; 2 Länder des Globalen Südens, die künftig in großem Stil grünen Wasserstoff nach Deutschland liefern sollen und wollen.

Die Technik läuft »störungsfrei«

Es ist ein grauer Tag in Nordrhein-Westfalen, nur ab und an huscht ein Fleckchen Sonne über Straßen und Felder. Am Rande des Städtchens Holzwickede, in einem zwischen einer Autobahn und dem Dortmunder Flughafen eingepferchten Industriegebiet, empfängt mich Carsten Stabenau dennoch mit freundlichem Gesicht. Als Referent im Innovationsmanagement betreut er für die Westnetz GmbH Wasserstoff-Pilotprojekte. Projekte wie jenes, an dessen Toreinfahrt er mich heute abholt. Stabenau trägt einen weißen Sicherheitshelm auf dem Kopf und einen zweiten für mich in der Hand.

Im Projekt »H2HoWi« erprobt die Westnetz GmbH, einer der größten Verteilnetzbetreiber Deutschlands, wie sich die Gasverteilnetze auf reinen Wasserstoff umstellen lassen. Dafür hat das Tochterunternehmen der Westenergie AG 500 Meter Rohre vom Verteilernetz getrennt und mit dem großen weißen Wasserstofftank verbunden, der hier eingezäunt mit ein paar weiteren technischen Anlagen steht. Statt mit russischem oder niederländischem Erdgas heizen 3 teilnehmende Betriebe im Industriegebiet seit letztem Herbst mit dem hier produzierten Wasserstoff. Ziel des Projektes ist es herauszufinden, wie Rohre, Ventile, Druckregler und andere Elemente des Gasnetzes mit dem neuen Transportgut klarkommen.

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Frauke Berger

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Im überschaubaren Rahmen dieses Testes fließt der Wasserstoff fast völlig von selbst: Fällt der Füllstand im Wasserstofftank unter einen gewissen Pegel, bestellt eine elektronische Vorrichtung automatisch Nachschub beim Lieferanten. Kurz darauf trifft ein Lastwagen mit seiner Lieferung ein und füllt den Tank wieder auf. Der genutzte Wasserstoff stammt ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen und wird mit erneuerbarem Strom gewonnen. »Um schon mal ein Resümee zu ziehen: Es läuft störungsfrei, der Betrieb stellt kein Problem dar«, sagt Stabenau.

Mit dem Projekt will die Westnetz GmbH zeigen, dass ein Umbau der Gasinfrastruktur technisch machbar ist. »Wir gehen davon aus, dass wir 95% bis 98% unseres Erdgasverteilnetzes für den Transport von Wasserstoff nutzen können«, sagt Stabenau, der sich heute vor allem mit Wasserstoffprojekten beschäftigt. »Mir macht das riesigen Spaß«, sagt er. Und dafür gibt es einen guten Grund: Der Ausblick auf eine Wasserstoffwirtschaft hat einer Branche, deren Tage schon gezählt schienen, eine neue Perspektive gegeben. »Unsere Kolleginnen und Kollegen freuen sich darauf, an etwas Neuem mitzuarbeiten.« Erst der Klimawandel, dann der russische Angriff auf die Ukraine und das Ende der russischen Gaslieferungen haben die Diskussionen über den Abschied vom Erdgas angeheizt. Die Branche ist verunsichert, nicht wenige sehen im Wasserstoff die Rettung ihrer Zunft.

Doch wie könnte so eine große Umstellung aller deutschen Gasnetze auf Wasserstoff konkret ablaufen? Schließlich sind Hunderttausende Kunden Tag für Tag auf den Fluss der Energie angewiesen. »Das ist ein riesiger Umbruch«, sagt Stabenau, als wir um den großen Tank herumschlendern.

Carsten Stabenau zeigt auf einen Teil der Wasserstoffanlage, in der dem Wasserstoff ein Geruchsstoff beigemischt wird. Genau wie beim Erdgas ist das nötig, damit eventuelle Lecks bemerkt werden.

Copyright Felix Austen

Wie der Netzumbau von Gas auf Wasserstoff Stück für Stück gelingen soll

Schon heute fließt im Erdgasnetz ein Gasgemisch, das aus bis zu 10% Wasserstoff besteht – bald sollen es bis zu 20% sein. Es hat sich gezeigt, dass Rohre und Ventile mit einer solchen Beimischung von Wasserstoff gut klarkommen. Doch um auf 100% Wasserstoff zu kommen, würde der Anteil im Gemisch nicht immer weiter erhöht. Stattdessen würden kleine Teile des Netzes stückweise komplett umgestellt.

»Auf dem Papier sind wir den Prozess der Umstellung von Erdgas auf 100% Wasserstoff durchgegangen, um herauszufinden, wie viele Haushalte man pro Tag schafft. Das geht sukzessiv, man stellt Straßenzug um Straßenzug um – nicht Tausende Kunden pro Tag.« Von Netzseite ist das wie beschrieben gut machbar – der Flaschenhals sei vielmehr der Austausch der Endanwendungen. Sprich: der Heizungsanlagen.

Die meisten der heute verbauten Gasthermen kommen zwar mit einer Beimischung von Wasserstoff klar, mit reinem Wasserstoff funktionieren sie aber nicht, weshalb die Heizungsanlagen und andere Gasverbraucher in diesen Teilstücken getauscht oder umgebaut werden müssen. Das Problem: Eine Wasserstoffheizung ist heute noch sehr teuer. Einen möglichen Ausweg hierfür sieht Stabenau in neu entwickelten Erdgasthermen, die später mithilfe eines Umstellungskits auf Wasserstoff umgerüstet werden könnten. Damit ließe sich der spätere Umstieg auf Wasserstoff frühzeitig vorbereiten.

Bei Betreibern wie der Westnetz GmbH liegen die Pläne für eine flächendeckende Wasserstoffversorgung also in der Schublade. Doch wird es jemals so weit kommen?

Die dunkle Seite des Wasserstoffs

Jens Clausen hat – vorsichtig ausgedrückt – Zweifel daran. Der Maschinenbauingenieur ist Mitgründer des Borderstep Instituts, eines unabhängigen und gemeinnützigen Forschungsinstituts, das Unternehmen, Verbände und die Politik zu Fragen der Nachhaltigkeit berät. Clausen beschäftigt sich seit Jahren mit Wasserstoff und hat unter anderem für Scientists for Future einige Veröffentlichungen zum Thema Wasserstoff mit verfasst. Er sieht viele Gründe dafür, warum sich Wasserstoff nicht in dem Ausmaß durchsetzen dürfte und das Erdgas in unseren Netzen nicht eins zu eins ersetzen kann. Auch für ihn hapert es weniger an der Technik:

Es geht gar nicht darum, ob man mit Wasserstoff irgendwie heizen oder Auto fahren kann – das kann man. In Anbetracht des schrecklichen Wirkungsgrades der Technologie ist es aber völlig unsinnig, das machen zu wollen. Insbesondere dann, wenn Wasserstoff knapp ist. Und das wird er in absehbarer Zeit bleiben. – Jens Clausen, Maschinenbauingenieur und Mitgründer des Borderstep Instituts

Clausen spielt auf die Energieverluste an, die immer dann eintreten, wenn Wasserstoff aus Strom gewonnen und anschließend wieder zurück gewandelt wird. Aktuell bleibt in diesem Fall knapp die Hälfte der ursprünglichen Energie übrig. Stelle dir vor, du möchtest eine Suppe einfrieren, um sie haltbar zu machen – doch beim Auftauen ist nur noch die Hälfte übrig.

Künftige technologische Fortschritte bei der Wasserstofftechnik könnten diese Verluste noch ein Stück weit senken. Doch energetisch – und somit auch aus finanzieller Sicht – wird es immer von Vorteil sein, den Strom direkt zu verbrauchen, anstatt ihn aufwendig hin- und her zu wandeln. Also die Suppe zu essen, solange sie noch dampft.

Wo auch immer es gute Alternativen zum Wasserstoff gibt, die Strom als Energieträger nutzen, sind diese daher klar im Vorteil. Darin sind sich die meisten Expert:innen einig. Und das ist bei 2 der meistdiskutierten Energieschlucker definitiv der Fall: Autos und Heizungen.

Schauen wir zuerst aufs Auto: Hier stehen die batteriegetriebenen E-Autos in den Startlöchern. Nahezu alle Autobauer setzen komplett auf die Elektromobilität und investieren Milliarden in die Technologie. Wasserstoffautos hingegen fristen ein absolutes Nischendasein:

Fast alle großen Hersteller der Pkw-Branche haben den Wasserstoff abgeschrieben. Es gibt in Deutschland 2 serienmäßige Wasserstoffautos zu horrenden Preisen zu kaufen. BMW gibt an, jetzt in die Technik einsteigen zu wollen. Letztes Jahr haben sie 17 Wasserstoffautos verkauft. Tesla baut in Grünheide hingegen 1/2 Million vollelektrische Model Y pro Jahr. Letztes Jahr hat die Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) 14 Millionen Euro Förderung an Hyundai gegeben für 800 Wasserstoffautos. Es wurden aber nur 300 zugelassen. Offenbar will die niemand haben. Die Wirtschaft hat schon entschieden, dass Wasserstoff bei den Pkw keine Rolle spielen wird. – Jens Clausen

Auch für Heizungen steht mit der Wärmepumpe eine stromgetriebene Lösung bereit,1 die in ihrer Effizienz kaum zu überbieten ist:

Ich kann aus einer Kilowattstunde Strom entweder eine 3/4 Kilowattstunde Wasserstoff-Heizwärme machen, oder 3–4 Kilowattstunden Wärmepumpenheizwärme. Die Leute, die sich überlegen, was die Heizenergie kostet, sagen für eine Wasserstoffheizung etwa 2–3-mal so hohe Heizkosten voraus wie für eine Stromheizung. Da schlägt sich schlicht und einfach dieser hohe Wirkungsgrad der Wärmepumpe nieder. – Jens Clausen

Hier stimmt auch der Wasserstoffoptimist der Westnetz GmbH, Carsten Stabenau, zu: »Die Wärmepumpe ist eine ungeschlagen effiziente Technologie – insbesondere bei Neubauten. Wichtig dabei ist aber: Technologieoffenheit. Die Wärmewende findet lokal statt. Und lokal gibt es unterschiedliche Voraussetzungen. Wir müssen in Deutschland unterschiedliche Technologien für unterschiedliche Gegebenheiten zulassen.«

Er spielt damit auch auf ältere Gebäude an, die weniger gut isoliert sind. Hier sind Wärmepumpen weniger effizient.2 Sollte man diese Gebäude energetisch sanieren, um sie trotzdem für die Wärmepumpe zu erschließen? »Schon heute ist gut der halbe Gebäudebestand für das Heizen mit Wärmepumpe geeignet«, sagt Jens Clausen. Die EU arbeite an Rechtsvorschriften, die dabei helfen sollten, auch die Energieeffizienz der schlechtesten Gebäude zu verbessern und den Siegeszug der Wärmepumpe fortzuschreiben.

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Elektrifizierung vs. Wasserstoff: Beim Heizen spalten sich die Geister

Oder sollte man für die Gebäude, die für die Wärmepumpe noch nicht gut geeignet sind, doch auf Wasserstoff setzen? Mit den Gasnetzen steht schließlich die Infrastruktur weitestgehend bereit. Die Stromnetze hingegen würden in den nächsten Jahren ohnehin an ihre Grenzen gelangen, sagen Kritiker:innen, auch beim Heizen voll auf die Elektrifizierung zu setzen, belaste den Netzausbau zusätzlich und verursache hohe Kosten.

Wie man das Blatt auch wendet, beim Heizen gehen die Ansichten auseinander. Klar ist allerdings: Die Elektrifizierung hat die Nase zeitlich gesehen deutlich vorn. Während Wasserstoffthermen bisher vor allem in stark geförderten Pilotprojekten vor sich hin köcheln, ist der Vormarsch der Wärmepumpen seit einigen Jahren in vollem Gange. Allein im Jahr 2022 wurden in Deutschland 236.000 Wärmepumpen verkauft – 53% mehr als im Vorjahr.

Jens Clausen.

Copyright Tom Deutschmann

»Wir haben jetzt 15 oder 20 Jahre vor uns, in denen Wasserstoff wenig verfügbar und horrend teuer sein wird«, sagt Jens Clausen. »In diesen 20 Jahren wird das Gasnetz Zahnausfall bekommen. Es wird immer weniger Gaskunden geben, die Netzkosten für die einzelnen werden immer größer werden. Um das Gasnetz zukunftsfähig auszubauen und umzurüsten, müsste die Gas-Lobby innerhalb der nächsten 3, 4 Jahre mit wettbewerbsfähigem Wasserstoff dastehen. Das ist aber wirklich nicht denkbar.« In dieser Spanne dürften zugleich Millionen E-Autos und Wärmepumpen verkauft sowie Ladesäulen auf- und Stromnetze ausgebaut werden. »Der Zug ist für den Wasserstoff in einigen Bereichen einfach abgefahren. Die Elektrifizierung ist schon zu weit fortgeschritten.«

Demgegenüber steht wiederum die Hoffnung auf der Seite der Wasserstoffoptimist:innen, dass der Import von günstigem, grünem Wasserstoff aus Kanada, Australien oder etwa Namibia schnell kommen werden.

Wo Wasserstoff eine Zukunft hat

Es gibt Bereiche, in denen die Zukunft des Wasserstoffs einigermaßen unangefochten ist: Als Stromspeicher und als chemischer Grundstoff. Als Speicher wird Wasserstoff als Notreserve für mögliche Dunkelflauten gebraucht. Das sind seltene Phasen, die vor allem im Winter auftreten können und in denen es ungewöhnlich wenig windet und kaum die Sonne scheint. Wind- und Solarkraftanlagen können dann nicht genug Strom erzeugen, um all die Wärmepumpen, E-Autos, Kühlschränke und anderen Geräte zu versorgen. Für diese Phasen muss in den Monaten zuvor genug überschüssiger Strom in Wasserstoff gewandelt und gespeichert werden. Während der Dunkelflaute wird dieser dann in Brennstoffzellen oder Gaskraftwerken zurück zu Strom gewandelt und ins Netz gespeist. Wie ein fleißiges Eichhörnchen muss das Energiesystem so Vorsorge leisten für den Winter.

Doch wohin mit all den »Wasserstoffnüssen«? Die vorhandene Gasinfrastruktur in Deutschland besteht glücklicherweise nicht nur aus Leitungen, sondern auch aus Speichern. Viele davon sind heute schon für Wasserstoff nutzbar. Da Wasserstoff eine niedrigere Energiedichte hat als Erdgas, werden allerdings noch mehr Speicher nötig sein. Der Thinktank Agora Energiewende rechnet vor, dass die vorhandenen Speicher im Jahr 2030 noch gut ausreichten. Doch bis zum Jahr 2050 könnten alle zu Wasserstoffspeichern umfunktionierten Salzkavernen und erschöpften Öl- und Gasfelder an ihre Grenzen gelangen – die Erschließung weiterer Speicher sei dringend notwendig.

Übrigens: Auch beim Speichern steht mit modernen Akkus eine elektrische Alternative bereit, die ähnlich wie bei Heizungen und Autos deutlich effizienter ist als das Hin und Her mit dem Wasserstoff. Doch Akkuspeicher können kaum genug Energie aufnehmen, um einer Dunkelflaute gerecht zu werden, sodass sie eher die Funktion übernehmen, kurzfristige Schwankungen abzufedern.

Der zweite Bereich sind chemische Prozesse, allen voran die Stahlproduktion. Anders als in den anderen Bereichen wird der Wasserstoff hier nicht nur wegen seiner Energie erwünscht, sondern auch wegen seines molekularen Charakters.

Kleiner Chemieexkurs: Das Element Eisen, aus dem Stahl gefertigt wird, kommt in der Natur vor allem in Form von Eisenerzen vor. Die Eisenatome sind darin an Sauerstoffatome gebunden. Um die Sauerstoffatome vom Eisen »loszueisen«, braucht es viel Hitze – und einen neuen Partner für den Sauerstoff, woran sich dieser anhängen kann. Bisher erledigt das der Kohlenstoff aus dem Koks (veredelte Kohle). Das Ergebnis ist das unheilvolle Gespann aus Kohlen- und Sauerstoff: CO2.

Doch statt Koks kann eben auch Wasserstoff den Job erledigen: Wie Koks verbrennt das Gas bei hohen Temperaturen und ist zugleich ein attraktiver neuer Partner für die Sauerstoffatome, die in dem Prozess wieder unter die Haube kommen müssen. Das Ergebnis ist das dem Klima deutlich sympathischere Pärchen aus Wasser- und Sauerstoff: H2O, also Wasser.

Die Hitze, die für viele chemische Prozesse notwendig ist, ließe sich inzwischen ebenfalls mit Strom erzeugen. Und das werde sich in der Industrie auch weiter verbreiten, ist Jens Clausen überzeugt. Doch manche chemischen Prozesse werden immer auf einen Reaktionspartner angewiesen sein. Hier ist Wasserstoff im Prinzip konkurrenzlos. Deshalb werden die Anwendungen auch »No-regret«, also Nichts-Bereut-Anwendungen genannt.

Der Preis wird entscheiden

Der Thinktank Agora Energiewende hat die verschiedenen Anwendungsbereiche für den Wasserstoff in eine übersichtliche Ampel sortiert. Stahlproduktion, Stromspeicher und einige weitere Anwendungen haben grünes Licht, sie werden und müssen kommen. Wasserstoffautos und -heizungen in Privatgebäuden hingegen werden sich nicht lohnen – rotes Licht! Dazwischen, im gelben Bereich, stecken Anwendungen wie Wasserstoffbusse, -züge und -schiffe.

Copyright Agora Energiewende

Die grünen Anwendungen sind sinnvolle Werkzeuge gegen die Klimakrise. Sie sollten von der Politik gefördert und mit regulatorischen Werkzeugen konkurrenzfähig gemacht werden, fordern die Autor:innen von Agora Energiewende und andere Expert:innen. Diese Förderinstrumente sind teilweise schon intakt oder in der Planung. Am Ende werden die künftigen Preise für das Kilogramm Wasserstoff darüber entscheiden, wofür es sich lohnt, ihn einzusetzen. Damit der Preis schnell fällt, muss Wasserstoff möglichst bald und in großen Mengen per Pipeline aus der europäischen Nachbarschaft zu uns fließen und aus anderen Teilen der Welt per Schiff zu uns gelangen. Denn im eigenen Land wird Deutschland wahrscheinlich nicht genügend davon herstellen können. Woher der Wasserstoff stattdessen kommen könnte – darum geht es in einem der nächsten Beiträge aus dem Projekt »Chain Reactions«.

Dieses Projekt wurde vom European Journalism Center im Rahmen des Solutions Journalism Accelerator gefördert. Die Förderung wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.

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