Warum grüner Wasserstoff keine Lösung für Energiearmut ist

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Als ich in den 90er-Jahren aufwuchs, trug der nigerianische Energieversorger National Electric Power Authority (NEPA) den Spitznamen »Never Expect Power Always«.1 Inzwischen wurde NEPA (später PHCN) privatisiert und in 6 Unternehmen aufgespalten. Dennoch sagen dir Nigerianer:innen auf Twitter, dass »der Sirenenton, wenn NEPA das Licht zurückbringt, eines der wenigen Dinge ist, die Nigerianer:innen Glück bringen«. Nigerianer erwarten nach wie vor nie Strom – und das immer.

Immaculata Abba.

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Während die Bekämpfung der Klimakrise immer dringlicher wird, ist grüner Wasserstoff der neue Hoffnungsträger in der weltweiten Diskussion über Energieerzeugung. Da die afrikanischen Sub-Sahara-Länder weniger als 3% (0,2% für Nigeria) zu den weltweiten Kohlenstoffemissionen beitragen, ist die drängende Frage hier: Wie kann der Kontinent seine vorhandenen Ressourcen nutzen, um seinen eigenen Energiebedarf nachhaltig zu decken, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und Armut zu bekämpfen? Vor Kurzem sind Deutschland und Nigeria eine Wasserstoffpartnerschaft eingegangen. Auch hier stellt sich die Frage: Kann die Produktion (und der Export) von grünem Wasserstoff Nigerias Energiearmut lindern, insbesondere in ländlichen und abgelegenen Gebieten?

Nigerias Energieproblem

Was genau ist das Ausmaß des Energieproblems in Nigeria? Nigeria erzeugt 3.500–5.000 Megawatt (MW) Strom, während es eine Erzeugungskapazität von 22.000 MW und einen Bedarf von 200.000 MW hat.2 Aber selbst wenn die Erzeugungskapazität erhöht würde, schwankt die Übertragungskapazität Nigerias zwischen 7.500 MW und 8.000 MW. Mehr als 85 Millionen Menschen in Nigeria – das sind 43% der Bevölkerung des Landes – haben keinen Zugang zum nationalen Stromnetz. Selbst für diejenigen, die an das Netz angeschlossen sind, sind Stromausfälle die Normalität. Im Jahr 2020 belegte Nigeria im »Ease of Doing Business«-Bericht der Weltbank den 171. Platz von 190 Ländern in Bezug auf den Zugang zu Strom.

Nigerias Minister für Energie, Abubakar Aliyu, führte die instabile Stromversorgung auf einen Rückgang des Wasserspiegels3 zurück sowie auf Gasengpässe und Wartungsprobleme der Stromgeneratoren. Derzeit machen fossile Brennstoffe über 80% der Erzeugungskapazität Nigerias aus.

Das ist nicht ungewöhnlich für ein westafrikanisches Land. Nur 42% der Menschen in der Region der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) haben Zugang zur landesweiten Stromversorgung. Deshalb startete die ECOWAS-Kommission 2017 das »Regional Off-Grid Electrification Project« (ROGEP). Darin sollten kleine, entlegene Gemeinden an kleine, unabhängige Stromnetze angebunden werden. Es sollte ursprünglich 2021 enden, wurde jedoch 2022 neu gestartet.

Die nigerianische Regierung verfolgt derzeit einen ähnlichen 2-gleisigen Ansatz zur Lösung ihrer Energieprobleme: Sie will die Kapazität des nationalen Stromnetzes verbessern und zugleich Mininetzlösungen für entlegene, ländliche Gebiete verfolgen. Diese sind jedoch in der Regel teurer und Beschwerden und Anliegen von Verbraucher:innen laufen häufig ins Leere.

Und während Nigerianer:innen auf eine stabile Stromversorgung warten, greifen sie in der Zwischenzeit auf Generatoren, Stromwandler, Solarenergie und andere Back-up-Stromquellen zurück, um sich über Wasser zu halten. Im Jahr 2015 gab der durchschnittliche Nigerianer 3-mal so viel für Back-up-Strom aus wie für Strom aus dem Netz.

In entlegenen Regionen, in denen in der Regel nur relativ wenig Energie verbraucht wird, rechnet sich Wasserstoff oft nicht. Einzelne Solarzellen können den Grundverbrauch bereits teilweise decken.

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Grüner Wasserstoff – eine neue Lösung?

Grüner Wasserstoff hat laut vieler Wissenschaftler:innen das Potenzial dazu, Öl, Gas und Kohle zu ersetzen, sowohl in Mininetzen als auch in industriellen Prozessen.

Was daran großartig ist? Grüner Wasserstoff wird aus Wasser unter Verwendung erneuerbarer Energiequellen (Solar, Wind, Geothermie) produziert und emittiert im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen keinen Kohlenstoff. Er könnte als Energieträger wie eine Batterie fungieren, die überschüssige erneuerbar erzeugte Energie speichert.

Was daran nicht so großartig ist? Die Wirtschaftlichkeit ist das größte Hindernis der meisten aktuellen Wasserstoffprojekte (unabhängig davon, ob der Wasserstoff erneuerbar oder aus fossilen Brennstoffen hergestellt wurde). Es ist teuer, Öl- und Gasinfrastruktur so umzufunktionieren, dass sie für Wasserstoff sicher verwendbar ist. Denn Wasserstoff ist hochentzündlich und korrosiv. Und wir sprechen hier nicht von einem kleinen, sondern einem milliardenschweren Hindernis: Die namibische Regierung schätzt, dass sie bis zum Jahr 2040 190 Milliarden US-Dollar (oder 11 Milliarden US-Dollar pro Jahr) benötigen wird, um ihre ehrgeizigen Pläne für grünen Wasserstoff zu finanzieren. Zur Einordnung: Der Haushalt Nigerias für den gesamten Energiesektor im Jahr 2023 beträgt nur eine halbe Milliarde US-Dollar.

Davon abgesehen raten viele Wissenschaftler:innen davon ab, Wasserstoff für Anwendungsbereiche mit geringerem Energiebedarf einzusetzen, wie es zum Beispiel in ländlichen und entlegenen Gebieten der Fall ist. Laut Robert Howarth, Professor für Ökologie und Umweltbiologie an der Cornell University in den USA, haben die »direkte Elektrifizierung und Batterien viel mehr und viel schneller zu bieten. Es ist eine enorme Ablenkung und Verschwendung von Ressourcen, über die Beheizung von Häusern und Personenkraftwagen mit Wasserstoff zu sprechen.«

Darüber hinaus ist Wasserstoff für die Umwelt nicht unbedenklich. Obwohl er streng genommen kein Treibhausgas ist, verstärkt er die Wirkung einiger Treibhausgase und erhöht so deren Kohlenstoff-Fußabdruck. Zum Beispiel sorgt er dafür, dass Methan (das den Planeten schneller erwärmt als CO2) länger in der Atmosphäre bleibt. Außerdem benötigt man mehr Energie, um Wasserstoff zu produzieren, zu speichern und zu transportieren, als der Wasserstoff am Ende wieder liefert, wenn er in nutzbare Energie umgewandelt wird. Es geht also dabei einiges an Energie verloren. Sein Vorteil gegenüber anderen Brennstoffen beschränkt sich größtenteils auf seine Fähigkeit, Energie zu speichern.

In Nigeria wird deutlich weniger Strom generiert als benötigt wird. Deshalb zapfen sich viele Menschen auf informellem Wege Strom ab, so wie hier in der Hauptstadt Lagos. Das überlastet die Netze und verursacht die regelmäßigen Ausfälle.

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Die große Ausnahme: Die deutsch-nigerianische Energiepartnerschaft

Da Wasserstoff eine Schlüsselrolle in der Energiewende Deutschlands spielt, hat die deutsche Regierung im Jahr 2020 2 Milliarden Euro für den Aufbau von grünen Wasserstoffpartnerschaften mit anderen Ländern bereitgestellt. Ein Hauptziel dieser Partnerschaften ist es, Wasserstoff (langfristig) aus diesen Ländern zu importieren.

Im November 2021 eröffneten das Auswärtige Amt Deutschlands und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Nigeria ein Deutschland-Nigeria-Wasserstoff-Büro. Dadurch sollen die Aktivitäten der deutsch-nigerianischen Energiepartnerschaft, die seit 2008 besteht, ausgeweitet werden. Das Büro beschreibt die Wasserstoffpartnerschaft mit Nigeria als Reaktion auf die zu erwartenden wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen, vor denen beide Länder bei der anstehenden weltweiten Dekarbonisierung und dem Kampf gegen den Klimawandel stehen.

Nigerianische und deutsche Regierungsvertreter geben sich optimistisch, was das Projekt angeht. Bei der Eröffnung des Büros im Mai 2022 erklärte ein Vertreter des Umweltministeriums, er gehe davon aus, dass diese Partnerschaft »in Einklang mit Nigerias Plänen steht, sich auf den Weg in eine grüne Zukunft zu machen«. Auf dem kürzlich abgehaltenen 6. Nigeria International Energy Summit (April 2023) sprach der Länderdirektor von GIZ Nigeria und ECOWAS, Markus Wagner, über die deutsch-nigerianische grüne Wasserstoffpartnerschaft und sagte: »Die junge, CO2-arme Wasserstoffwirtschaft und die damit verbundenen Branchen halten das Versprechen von wirtschaftlichem Wachstum, Industrialisierung, Wertschöpfung, Schaffung von anständigen Arbeitsplätzen, Infrastrukturentwicklung und einem verbesserten Zugang zu sicherer und bezahlbarer CO2-armer Energie

Anders als in Namibia, wohin bis August 2021 40 Millionen Euro flossen, hat das deutsch-nigerianische Wasserstoffbüro keine Finanzierung für Nigerias eigene Infrastruktur bekannt gegeben. Stattdessen nennt das Büro zunächst einmal kleinere Ziele: Es will zur Vernetzung von Expert:innen und wichtigen Interessengruppen beitragen und die Bevölkerung für das Thema Wasserstoff sensibilisieren. Es soll zudem die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor fördern und natürlich die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Nigeria in Gang bringen und koordinieren. Erst im Mai 2022 fand das erste öffentliche Symposium statt; die Partnerschaft befindet sich noch in den Anfängen. Die größte Herausforderung bleibt es, die großen Finanzmittel zu organisieren, die für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft notwendig werden.

Nigeria liegt nur unweit nördlich des Äquators, es wird also rund ums Jahr früh dunkel. Stromversorgung bedeutet für viele Menschen also auch Licht, und damit die Möglichkeit, auch in den Abendstunden etwa arbeiten oder lernen zu können.

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Das Erbe der Ausbeutung

Durch diese deutsch-nigerianische Partnerschaft erhält Nigeria die Möglichkeit, am weltweiten »Wettlauf« zur Entwicklung von grünem Wasserstoff teilzunehmen. Das könnte die Energieproduktion steigern und das allgemeine Wirtschaftswachstum ankurbeln, was wiederum ländlichen und nicht ans Netz angebundenen Gebieten zugutekommen könnte. Mit Namibia gibt es ein weiteres afrikanisches Land, das die grüne Wasserstoffrevolution anführt und hofft, dass sich das zugunsten der eigenen Bevölkerung auswirken möge. Einwohner:innen der Stadt Lüderitz in Namibia, wo ein grünes Wasserstoffprojekt entstehen könnte, äußerten ihre Hoffnungen und Begeisterung über die Möglichkeit des Projekts, Menschen aus der lokalen Bevölkerung zu schulen und mit gut bezahlten Jobs zu versorgen. Es gibt allerdings weitere Faktoren, die verhindern könnten, dass die Vorteile für ländliche und abgelegene Gebiete auch tatsächlich den Menschen vor Ort zugutekommen.

Schon in der Vergangenheit hat bei großen Projekten in Nigeria, bei denen es um das Heben von Bodenschätzen ging, nicht wie erhofft die Gemeinschaft profitiert. Der Niger-Delta-Konflikt ist das bekannteste Beispiel für einen Konflikt, der in den 90er-Jahren aufgrund von Spannungen zwischen ausländischen Ölkonzernen und Einheimischen in der Region entstand.

Die historischen Parallelen zwischen dem Wettlauf um grünen Wasserstoff und anderen Ressourcen in der europäisch-afrikanischen Geschichte (zum Beispiel der Diamantenrausch) sollten Grund genug sein, um genauer hinzusehen. William Montieth, Humangeograph an der Queen Mary University in London, erklärte während eines Gesprächs, dass »dominante Diskurse des ›grünen Wasserstoffrausches‹ Afrika als Lösung für den europäischen Kohlenstoffverbrauch und die Energieabhängigkeit präsentieren«. Er fügte hinzu, dass »das historische und geografische Denken über grünen Wasserstoff die fortgesetzte Rolle von [postkolonialem] Extraktivismus und Enteignung in grünen Energieübergängen veranschaulicht«.

Das Fallbeispiel Gbamu-Gbamu

Im Dezember 2022 führte die Delegation der deutschen Wirtschaft in Nigeria eine Machbarkeitsstudie zur Produktion von grünem Wasserstoff für den Einsatz in Off-Grid-Anwendungen in Nigeria durch. Dabei untersuchten sie am Beispiel der Gbamu Gbamu Community, einer abgelegenen Gemeinde im Ijebu East Local Government Area des Bundesstaates Ogun, die ein 85-KW-Peak-Solar-Mininetz nutzt, wie und ob grüner Wasserstoff als Mittel zur Speicherung von Elektrizität eine finanziell machbare Lösung ist. Das Ergebnis: Die Lösung sei nur machbar, weil Treibstoff, Transport und Wartung von Dieselgeneratoren als Alternative ohnehin teuer seien.

Allerdings bedeutet die Tatsache, dass Wasserstoff im Vergleich mit anderen Kraftstoffen bei den Kosten wettbewerbsfähig ist, nicht unbedingt, dass die Gemeindemitglieder bereit oder in der Lage sind, die Mittel für die Energieversorgung aufzubringen. Gleich, ob es sich dabei um Wasserstoff oder die derzeit verfügbaren und ebenfalls teuren fossilen Optionen handelt. Im Jahr 2021 beobachtete Uchechukwu Okoro, ein Analyst für erneuerbare Energien, dass »die einzigen Unternehmen, die tagsüber erheblichen Strom verbrauchen, Dienstleister wie Wettbüros, Videogame-Betreiber, Friseursalons und Restaurants waren«. Mini-Grid-Gemeinden wie Gbamu-Gbamu haben in der Regel eine geringe wirtschaftliche Aktivität und ein niedriges verfügbares Einkommen. Die Tarife für Mini-Grid-Verbraucher sind ebenfalls höher und zwingen sie daher, ihren Energieverbrauch niedrig zu halten. Diese Faktoren lassen Zweifel an der finanziellen Machbarkeit von Wasserstoffproduktion und -verbrauch in vergleichbaren Gemeinden aufkommen.

Zusammenfassend gibt es 3 Dinge zu betonen: Erstens, selbst wenn Nigeria mehr Energie erzeugt als es übertragen kann, muss das Übertragungsproblem gelöst werden, um den Nigerianern einen besseren Zugang zur Stromversorgung zu ermöglichen. Zweitens ist grüner Wasserstoff für Anwendungsfälle in Gebieten mit geringem Energiebedarf wie ländlichen und Mini-Grid-Gemeinden nicht wirtschaftlich tragfähig. Drittens erinnert die Diskussion um grünen Wasserstoff an extraktive Handelsmuster zwischen Afrika und Europa. Es gibt keine einzige Lösung für das Energiearmutsproblem Nigerias. Wenn grüner Wasserstoff eine ernsthafte Lösung für die Energieprobleme der Zukunft sein soll, führt kein Weg daran vorbei, all die Punkte in die Diskussion einzubeziehen.

Dieses Projekt wurde vom European Journalism Center im Rahmen des Solutions Journalism Accelerator gefördert. Die Förderung wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.

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