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7 Frauen versammeln sich im Schatten von Victórica Ortiz López’ Haus. Sie haben ihre gewebten Taschen über ihre Arme gehängt und sind bereit für die Arbeit auf den Feldern. Die meisten dieser Frauen sind bereits über 50 Jahre alt und sprechen Mixtekisch – sie ziehen die traditionelle indigene Sprache noch immer dem Spanischen vor.
In Guadalupe Buenavista, einem mexikanischen Dorf mit rund 400 Einwohner:innen, ist der Anbau von Kaffee seit mehreren Generationen die Haupteinnahmequelle. »Mein 80-jähriger Großvater hat sein ganzes Leben mit dem Kaffeeanbau verbracht, genauso wie dessen Vater«, erzählt Paula Pérez Ortiz, während wir auf den Pick-up warten, der uns über holprige, unbefestigte Straßen zu der Plantage bringen soll. Mit 34 Jahren ist sie hier eine der jüngsten Kaffeeproduzentinnen. Sobald wir das Dorf in Richtung der Kaffeeplantagen verlassen haben, sind wir von Wald umgeben. Unter den Bäumen wachsen hier überall Kaffeepflanzen.
Mexiko ist berühmt für seinen Arabica-Kaffee, der häufig im Schatten verschiedener Baumarten angebaut wird und nicht als Monokultur auf einer Plantage. Das Land gehört zu den größten Exporteuren von Biokaffee weltweit; Deutschland ist einer der Hauptimporteure.
Für die Kleinbauern und -bäuerinnen im Bundesstaat Oaxaca wird es jedoch aufgrund unvorhersehbarer Wetterverhältnisse und durch den Klimawandel verursachte Krankheiten zunehmend schwierig, ihr Produkt anzubauen. Viele Menschen haben ihre Plantagen deshalb aufgegeben und sind abgewandert. In den letzten 10 Jahren ist die Migration in den 4 mexikanischen Bundesstaaten mit der größten Kaffeeproduktion – Chiapas, Veracruz, Puebla und Oaxaca – um 18,9% gestiegen.
»2015 verlor ich durch Kaffeerost sehr viele meiner Pflanzen«, sagt die 58-jährige Victórica Ortiz López, während sie neben ihren neuen Pflanzen der Sorte Geisha steht, die sie kurz nach dem Desaster gepflanzt hat.
Damals starben viele Pflanzen durch den Kaffeerost. Hemileia vastatrix, wie die Krankheit auch genannt wird, ist ein Pilz, der sich in warmer, feuchter Umgebung besonders wohlfühlt. Er befällt die Blätter von Kaffeepflanzen, wodurch dunkle Flecken entstehen. Später werden die Blätter gelb, sodass sie ihre Fähigkeit zur Fotosynthese verlieren und die Pflanze irgendwann keine Kaffeekirschen mehr produziert. Weil es durch den Klimawandel wärmer wird, ist die Krankheit heute auch in höher gelegenen Regionen zu finden. Vor 8 Jahren ging mehr als die Hälfte der Ernte in Oaxaca durch den parasitären Pilz verloren. Viele Menschen verließen damals die Region.
Die Region La Mixteca in Oaxaca gehört zu den ärmsten Regionen Mexikos. Dass Teile der Familie in einen anderen Bundesstaat ziehen, ist seit Jahrzehnten eine wichtige Strategie für die indigenen Familien, um über die Runden zu kommen. In Buenavista hat jede Frau, mit der wir sprechen, Familienmitglieder nördlich von Oaxaca. Da meist die Männer fortgehen, sind es die Frauen, die das Wissen über Kaffeeanbau bewahren und weitergeben.
Sie bauen den Kaffee in sogenannten Agroforstwirtschaftssystemen an. Dadurch sind die Pflanzen widerstandsfähiger gegenüber den Folgen des Klimawandels. Indem sie resistentere Kaffeesorten nutzen, umgeben von einer Vielzahl unterschiedlicher Baumarten, konnten sich die Plantagen der Mixteken nach 2015 wieder erholen.
Die Wahl der Sorte spielt eine Rolle, genau wie die Lichtverhältnisse
Dürren sind seit mehreren Jahrzehnten ein Problem für die südlichen Bundesstaaten Mexikos. Das staatliche Klimaschutzprogramm Oaxacas für die Jahre 2016–2022 warnte davor, dass der Großteil der Gemeinden im Bundesstaat besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels sei.
Nachdem der Kaffeerost die Pflanzen in der Region zerstört hatte, begannen die verbliebenen Landwirt:innen damit, ihre Plantagen wieder auf- und dabei umzubauen. »Manche Kulturen tauschten wir aus, weil die Pflanzen krank, andere, weil sie alt waren«, sagt die 63-jährige Dominica López. Sie fügt hinzu, dass dieser Prozess aber längst nicht abgeschlossen sei: »Jedes Jahr erneuern wir ein anderes Stück unseres Landes.«
Innerhalb weniger Jahre fanden die lokalen Kaffeeproduzentinnen selbst heraus, wie sie dabei am effektivsten vorgehen. Anfangs nutzten sie noch die Sorten, die sie von der Regierung und verschiedenen Organisationen gestellt bekamen. Aber häufig waren diese weder für den Boden und die lokalen Umweltbedingungen geeignet noch resistent gegenüber dem schädlichen Pilz.
»Jetzt bauen wir hauptsächlich die Sorten Sarchimor, Marsellesa, Típica und Geisha an«, sagt Victórica Ortiz López. In dem Teil ihrer Plantage, in dem wir unser Interview beginnen, wachsen etwa 20 Pflanzen des Geisha-Kaffees. In der letzten Saison konnte sie rund 50 Kilogramm Kaffeekirschen ernten. Weil die internationale Nachfrage groß ist, plant sie, weitere Geisha-Pflanzen anzupflanzen. Allerdings brauche diese Sorte auch viel Pflege, räumt Victórica Ortiz López ein.
Inzwischen müssen die Frauen keine Kaffeepflanzen von externen Firmen mehr zukaufen. Die meisten Produzentinnen haben ihre eigenen Baumschulen und Saatbeete, worin sie die Pflanzen vorziehen. In Buenavista arbeiten die Frauen zusammen und legen ihre Baumschulen gemeinsam an.
»Ich habe ungefähr 3.000 Pflanzen hier. Einen Teil davon werden wir auf unserem Grundstück anpflanzen, den Rest plane ich zu verkaufen«, sagt Marbella López Feria. Die 27-jährige Agraringenieurin stammt aus dem Nachbardorf Reyes Llano Grande und wurde vom Netzwerk der Kaffeeproduzenten in Oaxaca (CEPCO)1 in Fachwissen zum Kaffeeanbau geschult.
Der Nichtregierungsorganisation gehören etwa 3.000 kleine Kaffeebauern und -bäuerinnen aus dem ganzen Bundesstaat an. Sie bietet Schulungen an, vergibt Mikrokredite und hilft dabei, den Kaffee innerhalb und außerhalb Mexikos zu verkaufen. Aktuell unterstützt sie außerdem Agroforstsysteme in Oaxaca, finanziert durch den Livelihoods Funds.
Über 40% der Kaffeeproduzent:innen der Kooperative sind Frauen und Frauen stellen auch etwa die Hälfte aller Fachkräfte. »Womöglich ist der Frauenanteil sogar noch höher. Aber die Grundstücke laufen oft auf den Namen eines Mannes, auch wenn die Frau die Felder bearbeitet. Oder die Frauen sind sich selbst gar nicht bewusst, wie viel sie auf den Plantagen leisten«, erklärt Ana Tejeco, die für die Umweltaufsicht bei Projekten von CEPCO verantwortlich ist. »Wir arbeiten mit jungen Landwirt:innen und Frauen, weil sie durch den Klimawandel stärker gefährdet sind«, fügt sie hinzu.
Mehrere Studien belegen, dass fachliche Unterstützung beim Kaffeeanbau eine zentrale Rolle dabei spielt, die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. CEPCO unterstützt die Landwirt:innen unter anderem, indem sie die indigenen Kaffeeproduzent:innen zu Fachkräften ausbilden. Wegen fehlender finanzieller Mittel und dem langwierigen Prozess der Qualifizierung gibt es jedoch noch längst nicht genügend Fachkräfte.
Marbella López Feria befindet sich seit 2 Jahren in der Ausbildung. Ihre Eltern bauten Kaffee an, zeitweise lebten sie auch in den USA. Da sie sich nach dem Tod ihrer Eltern um ihre 3 jüngeren Schwestern kümmern musste, kehrte López Feria von ihrem Studienort Puebla in ihr Heimatdorf zurück und trat CEPCO bei.
»Kaffeerost ist nicht die einzige Krankheit, von der unsere Pflanzen betroffen sind. Aufgrund des wärmeren Klimas hier in der Region La Mixteca gibt es weitere Krankheiten und Schädlinge. Einer davon ist der Kaffeekirschenkäfer«, erzählt sie mir. Dieser Käfer befällt besonders Pflanzen, die zu schattig stehen. Er frisst sich in die Kaffeekirschen und zerstört sie dadurch. »Man kann die Bohnen zwar noch verwenden, aber sie haben nicht die Qualität, die Käufer nachfragen«, sagt sie. In Broschüren für die Landwirt:innen erklärt sie, wie man den Käfer wieder loswird: Dafür füllt man eine 3-Liter-Plastikflasche mit Alkohol; der Alkohol lockt den Käfer an, der dann in der Flüssigkeit ertrinkt.
Diversifizierung und kostspielige Pflege
Als wir durch die Parzellen von Victórica Ortiz López gehen, zeigt sie uns stolz ihre Bananenpalmen sowie Mandarinen- und Avocadobäume, die um ihre Kaffeepflanzen herum wachsen.
In Zeiten des Klimawandels ist die Diversifizierung von Kaffeesorten und Pflanzen, die um sie herum wachsen, entscheidend. Andernfalls verlieren die Erzeuger:innen alles, wenn eine Krankheit eine Sorte befällt.
Außerdem können sie durch die Obsternte zusätzliches Einkommen erzielen. Es gehe jedoch nicht nur darum, einfach ein paar Bäume zu pflanzen, warnt Ana Tejero. »Man muss die Plantagen komplett renaturieren. Dazu gehört auch, dem Boden Nährstoffe zurückzuführen, Wasserrückhaltesysteme aufzubauen und mit Kompost zu arbeiten.« In der Region La Mixteca nutzen die meisten Erzeuger:innen Wurmkompost, um ihren Kaffee mit den nötigen Nährstoffen zu versorgen. Die Würmer füttern sie wiederum unter anderem mit Kaffeeschalen.
Neben dem Ausbringen von organischem Dünger müssen die Kaffeeproduzent:innen ihre Plantagen mindestens 2-mal im Jahr von Unkraut und unerwünschten Pflanzen befreien. Früher sei das ausschließlich die Aufgabe von Männern gewesen, sagt Dominica López, »aber jetzt haben wir ebenfalls gelernt, mit Macheten zu arbeiten. Auf meiner Plantage wächst das Unkraut sehr schnell. Bei jungen Kaffeepflanzen reicht es nicht, es 2-mal zu entfernen.«
Einheimische Familien stellen in der Regel Arbeiter:innen ein, die ihnen beim Jäten, dem Ausbringen des Komposts oder der Ernte helfen. Durch die Abwanderung vieler Männer mangelt es jedoch an Arbeitskräften und die Kosten steigen. »Diejenigen, die bleiben, wissen, dass es nicht genug Arbeiter gibt, und verlangen deshalb mehr Geld«, beklagt Victórica Ortiz López.
Während die Pflege der Kaffeepflanzen durch den Klimawandel auf der einen Seite immer teurer wird, sank der Preis für Kaffee in diesem Jahr – wieder einmal.
Wenn CEPCO ihnen ihren Kaffee abkauft, erhalten die Frauen in Buenavista etwas mehr als 60 Pesos (umgerechnet rund 4,30 Euro) für ein Kilo gewaschener Kaffeebohnen gemischter Sorten. Das ist die kostengünstigste Art, die Bohnen zu verarbeiten. Wenn sie den Kaffee anders verarbeiten, erzielen sie höhere Preise – zum Beispiel, indem sie ihn als sogenannten Pergamentkaffee oder Spezialitätenkaffee verkaufen. Das ist jedoch mit zusätzlichen Kosten verbunden und benötigt größeres Fachwissen.
Die Frauen einer lokalen Gruppe erhalten Zuschüsse aus dem Wohlfahrtsprogramm der Regierung. »Ich bekomme pro Jahr 6.000 Pesos«, sagt Dominica López. Ein weiteres Programm der Bundesregierung, von dem Kaffeeproduzent:innen profitieren können, nennt sich Sembrando Vida (auf Deutsch: Leben säen). Kleinbauern und -bäuerinnen erhalten darüber monatliche Zuschüsse, um die Bepflanzung ihrer Plantagen zu diversifizieren und zu Agroforstsystemen umzubauen. Neben der finanziellen Unterstützung gibt es auch Schulungen und kostenlose Setzlinge.
Vor Kurzem hat CEPCO außerdem sogenannte »Trockenbetten« für 30 Produzentinnen in Buenavista bereitgestellt. »Sie helfen dabei, dass der Kaffee trocken bleibt – selbst wenn wir gerade auf den Feldern sind und es zu regnen beginnt«, erklärt Dominica López. Darüber hinaus sind Mikrokredite ebenfalls eine Möglichkeit für kleine Kaffeeproduzent:innen.
»Obwohl Landwirt:innen diejenigen sind, die das Leben in Städten überhaupt erst ermöglichen, werden wir nicht gut genug bezahlt«, sind sich alle Frauen einig. »Egal wie viel wir arbeiten, wir kommen nicht schnell genug voran bei dem, was wir verdienen«, sagt Dominica López.
José Luis Jaramillo-Villanueva, Professor am Colegio de Postgraduados in Puebla, hat sich in einer Studie mit kleinen Kaffeeproduzent:innen in Oaxaca und Puebla beschäftigt. Erste Ergebnisse seiner Forschung deuten darauf hin, dass ein hohes Einkommen die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht, dass Produzent:innen Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ergreifen.
Ich habe zwar noch keine Beweise, aber meine Hypothese lautet: Wenn Teile der Familie vorübergehend abwandern, subventionieren ihre Überweisungen den Anbau von Feldfrüchten wie Kaffee und Mais. Wenn der Kaffeeverkauf eine wichtige Einnahmequelle für Familien ist, setzen die Erzeuger:innen Maßnahmen zur Anpassung um – hauptsächlich, indem sie auf andere Sorten umsteigen, die gegen Schädlinge und Krankheiten resistent sind, und indem sie die beschattete Fläche auf ihren Plantagen erhöhen. – José Luis Jaramillo-Villanueva
Eine Studie von Paul Rogé von der Michigan State Universität zeigt zudem auf, dass die Anpassung an den Klimawandel in Mixteca Alta viel mehr ist als nur eine landwirtschaftliche Umstellung. Es geht darum, gemeinschaftlich zu handeln, um kollektive Probleme zu lösen. Die Frauen in Buenavista sind das beste Beispiel.
Als wir uns nach dem Besuch der Plantage wieder vor dem Haus von Victórica Ortiz López versammeln, schallt Gelächter über den Hof – trotz der prekären Lage, worin sich die einheimischen Frauen durch die niedrigen Kaffeepreise befinden. Denn sie sind stark und lassen sich nicht unterkriegen. Sie sind es, die die Kaffeeproduktion überhaupt ermöglichen. Sie nehmen außerdem an Dorfversammlungen teil und beeinflussen dadurch die lokale Politik sowie die Entscheidungen, die in ihrer Gemeinde getroffen werden.
»In jüngster Zeit beschränkt sich das Leben einer Frau nicht mehr nur auf ihr Zuhause. Da viele Söhne fortgehen, helfen die Frauen ihren Männern auf den Feldern«, meint Dominica López. Umgekehrt hülfen einige Männer auch bei der Hausarbeit. »Es hängt alles davon ab, wie wir Frauen unsere Söhne erziehen.«
Dieses Projekt wurde vom European Journalism Center im Rahmen des Solutions Journalism Accelerator gefördert.