Namibia leidet unter Energiearmut – und soll künftig Deutschlands Wasserstoff-Tankstelle sein

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Queenie,1 37 Jahre alt, Mutter von 4 Kindern, schaut in den Himmel. Wolken am Horizont trüben ihre Hoffnung, heute Abend ihr Handy aufladen zu können. Die eine Solarzelle auf ihrem Dach wird nicht genug Energie gespeichert haben. So läuft es für viele Menschen, die in Windhuks Township2 leben. Tausende der Hütten sind nicht an das Stromnetz angeschlossen.

»Man gewöhnt sich daran«, erklärt sie.

Queenie erzählt von den Risiken, die ein Leben ohne Strom mit sich bringt.

Copyright Lisa Ossenbrink

In Namibia, wo fast eine Million Menschen ohne Anschluss zu Elektrizität leben, scheint die Sonne im Durchschnitt an etwa 300 Tagen pro Jahr. Solarenergie könnte mehr Elektrifizierung bieten, bleibt bisher aber teuer.

Tausende von Kilometern illegaler Stromleitungen, die tief in der Erde vergraben sind, verlaufen von einer Seite der Township mit Anbindung ans Stromnetz zur anderen Seite ohne Anbindung. Die Kosten für den illegalen Strom betragen 800 Namibia-Dollar (NAD). Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn in Namibia liegt bei etwa 4.000 NAD im Monat. Der finanzielle Nachteil ist nicht das einzige Risiko, das die illegalen Stromleitungen mit sich bringen. Da viele Menschen in einem Haushalt an die illegalen Steckdosen angeschlossen sind, ist auch die Gefahr von Stromausfällen und Bränden groß.

Es gibt so viele Risiken, wenn man ohne Strom lebt. Am häufigsten sind durch Kerzen verursachte Brände. Ich habe gesehen, wie Menschen dadurch ihr Zuhause verloren haben. Aber auch die Kriminalität nach Einbruch der Dunkelheit ist in dieser Gegend sehr hoch. – Queenie, Bewohnerin von Windhuks Township

Namibia, ein Land in der südwestlichen Ecke des afrikanischen Kontinents, ist 824.292 Quadratkilometer groß, aber mit nur 2,5 Millionen Einwohner:innen das am zweitwenigsten dicht besiedelte Land der Erde. Trotz dieser niedrigen Zahl haben nach aktuellen Schätzungen nur 56% der namibischen Bevölkerung Strom.

Die mangelnde Stromversorgung Namibias liegt nicht nur an der Schwierigkeit, das Stromnetz auszubauen. Aufgrund der Landesgröße wären damit enorme Kosten verbunden. Namibias eigene Ressourcen liefern weniger als 1/3 der Energie, die das Land benötigt, um den nationalen Verbrauch zu decken. Es gibt großes Potenzial für Solarenergie, aber erneuerbare Energien sind nach wie vor sehr teuer und ohne ausländische Investitionen nicht realisierbar.

Teile von Windhuks Township sind nicht an das Stromnetz angeschlossen.

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Vielversprechende Aussichten

Doch könnte es eine Lösung für Namibias Energieproblem geben: grünen Wasserstoff.

Deutschland und Namibia teilen eine komplizierte Kolonialgeschichte, verbunden mit anhaltenden Debatten über Reparationen, aber sie verbindet seit Neuestem auch eine Partnerschaft für die Produktion von grünem Wasserstoff.

Da Namibia über reichlich Sonnenschein und viel Platz für Wasserstoffanlagen verfügt, aber internationale Investitionen für den Aufbau einer groß angelegten Industrie benötigt, soll das Land in Zukunft eine wichtige Rolle für Deutschlands Energiebedarf spielen.

Nach Angaben der namibischen Regierung benötigt es bis 2040 bis zu 190 Milliarden Dollar (181 Milliarden Euro), um Afrikas erstes Zentrum für grünen Wasserstoff zu werden. Schätzungen zufolge kann die Wasserstoffindustrie bis zu 6 Milliarden Dollar zum BIP beitragen. Die Finanzierung stellt die größte Herausforderung für die Wasserstoffproduktion dar. Erst vor Kurzem hat Namibia einen Vertrag über grüne Energie in Höhe von 10 Milliarden Dollar mit dem deutschen Energieunternehmen Hyphen unterzeichnet, das für die grüne Wasserstoffanlage im Tsau-Khaeb-Nationalpark verantwortlich ist.

Chigozie Nweke-Eze, CEO von Integrated Africa Power (IAP) und Forscher für Großprojekte im Bereich der erneuerbaren Energien in Afrika, sagt: »Eine Sache, von der Namibia profitieren wird, ist geopolitischer Natur. Wir sehen ein Namibia, das vorher niemand kannte. Plötzlich ist es auf der Energielandkarte zu finden.«

Für ihn seien die potenziellen Vorteile des grünen Wasserstoffs für Namibia »die Erschaffung von mehr Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und Industrialisierung«.

Durch Großprojekte wie das mit Hyphen taucht Namibia plötzlich auf der Energielandkarte auf.

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Überschüssige Energie für das Stromnetz

Da die Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie stark schwankt, ist grüner Wasserstoff, der ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt werden soll, eine Herausforderung. Um konstante Produktionsmengen zu gewährleisten, benötigt man deshalb einen Überschuss an Solarenergie und Wasser. Das Wasser wird wiederum aus Entsalzungsanlagen gewonnen. An manchen Tagen wird mehr Solarenergie zur Verfügung stehen, als die Anlage selbst zur Produktion von Wasserstoff verwerten kann. Daraus ergibt sich die Frage: Was geschieht mit dem überschüssigen Strom?

»Es muss anerkannt werden, dass Namibia ein sehr optimistisches Programm für grünen Wasserstoff gestartet hat«, sagte Irene Hoaes, eine Sprecherin von NamPower, Namibias staatlichem Stromversorger. »Wenn die Energiequellen in der genannten Größenordnung realisiert werden, kann dies einen erheblichen Einfluss auf den namibischen Energiesektor haben.«

Laut Hoaes hat NamPower selbst Pläne zur Umsetzung mehrerer Erzeugungsprojekte mit einer Gesamtkapazität von 220 Megawatt angekündigt. Namibia strebe eine Selbstversorgung von 85% an und wolle 70% seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Energiequellen decken. Ob die überschüssige Energie aus dem grünen Wasserstoffkraftwerk auch genutzt werden kann, ist jedoch noch nicht geklärt.

Hoaes sagte, eine Studie solle ermitteln, ob Namibia Zugang zu 2–3 Gigawatt der überschüssigen Energie bekommen könne. Da es sich um ein »Abfallprodukt« des grünen Wasserstoffprojekts handele, könnten die Kosten erheblich gesenkt werden.

Die namibische Regierung und Hyphen Hydrogen Energy haben vor Kurzem ein sogenanntes Machbarkeits- und Umsetzungsabkommen (FIA) unterzeichnet, »das den Prozess der Entwicklung, der Umsetzung und des Betriebs des größten und einzigen vollständig vertikal integrierten grünen Wasserstoffprojekts in Afrika südlich der Sahara regelt«, wie Hyphen in einer Pressemitteilung schrieb. Die überschüssige Energie wird jedoch in den Details des Abkommens, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, nicht erwähnt. »Die namibische Regierung sollte so viel verhandeln, wie sie kann«, sagte Nweke-Eze.

Nach eigenen Angaben wird Hyphen rund 7.000 Megawatt Strom benötigen, um den Prozess der Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff sowie die Weiterverarbeitung zu Ammoniak abzudecken. Um diese Zahl in Relation zu setzen: Namibias derzeitiger Maximalverbrauch liegt bei knapp über 600 Megawatt.

Am Netz oder an der Batterie?

Initiativen wie Ebikes4Africa setzen Solarbatterien in E-Bikes ein, um die Mobilität der namibischen Bevölkerung zu erhöhen; insbesondere für Menschen, die sonst nur selten Zugang zu einem Auto haben. Die Nichtregierungsorganisation hat vor Kurzem versucht, die in ihren Fahrrädern verwendete Solarbatterie in einen netzunabhängigen E-Hub zu integrieren, der Verkäufern in abgelegenen Gegenden hilft, ihre Lebensmittel zu kühlen. So können ganze Gemeinden von dem neuen Zugang zu Strom profitieren.

Netzunabhängige Solarbatterien erweisen sich als effektive Lösung für Namibier:innen, die in abgelegenen Gebieten leben und keine Anbindung an Strom haben. Sie bieten zwar eine zuverlässige Energiequelle, tragen aber nicht zur Erreichung der Elektrifizierungsziele des Landes bei. Diese Batterien müssten noch weiterentwickelt und an die netzgekoppelte Solarenergie angepasst werden. Vielversprechender ist daher die Nutzung der überschüssigen Energie, die von grünen Wasserstoffanlagen erzeugt wird.

Für die illegale Stromversorgung wurden kilometerlange Kabel im Boden vergraben.

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Namibia ist nicht das einzige Land, das im weltweiten Wettlauf um die Produktion von grünem Wasserstoff Wellen schlägt. Auch Nigeria entwickelt sich schnell zu einem wichtigen Akteur in diesem Bereich. Die deutsche Regierung hat das Potenzial des nigerianischen grünen Wasserstoffs erkannt und ist Kooperationen mit dem Land eingegangen.

Nigeria befindet sich in einer ähnlichen Situation wie Namibia: Das bevölkerungsreichste Land Afrikas kämpft mit einer niedrigen Elektrifizierungsrate, hohen Stromkosten und einem begrenzten Zugang für die Bevölkerung. Auch in Nigeria haben Initiativen versucht, mit Solarbatterien netzunabhängige Lösungen zu finden.

Nweke-Eze ist jedoch der Meinung, dass netzunabhängige Lösungen nicht dazu beitragen würden, einen Systemwechsel herbeizuführen. »Da sich jedes Land industrialisieren muss, muss man das Netz nutzen, wo immer man kann – auch wenn es um Solarenergie geht. Das ist es, was eine Wirtschaft fortschrittlich macht«, sagte er.

Geht die Rechnung auf?

Können grüne Wasserstoffanlagen in Namibia und anderen afrikanischen Ländern Licht in den Himmel und in die Häuser von Tausenden von Menschen bringen, während sie gleichzeitig den Großteil ihrer Produkte nach Europa exportieren?

»Wichtig ist, dass dieses Projekt die Energieversorgung Namibias stärker, robuster und klimafreundlicher macht«, sagte Robert Habeck, der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister, bei einem Besuch in Windhuk Ende 2022.

Es ist eine leicht lösbare Mathematikaufgabe: Wenn die grüne Wasserstoffanlage mehr Energie erzeugt, als sie verbraucht, und die überschüssige Energie in das Stromnetz eingespeist wird, könnte dies einen erheblichen Einfluss haben. Hierüber sind die beteiligten Akteure jedoch noch zu keiner substanziellen Einigkeit gelangt.

Nweke-Ezi erklärt: »Es geht darum, was zusätzlich zu dem geschieht, was bereits erzeugt wird. Ein einziges Unternehmen kann nicht den gesamten Stromsektor des Landes revolutionieren.«

Aber in Namibia, das ideale Bedingungen für die Produktion von grünem Wasserstoff bietet und gleichzeitig aufgrund seiner geringen Bevölkerungszahl einen geringen Energiebedarf hat, könnte sich trotzdem erheblich etwas ändern.

Doch für Menschen wie Queenie, die ohne Strom in den Ballungsräumen der namibischen Hauptstadt leben, wird das Aufladen ihres Handys erst dann zuverlässig möglich, wenn ihre Township an das Stromnetz angeschlossen ist – und der Strom für die Bewohner:innen bezahlbar wird.

Queenie schaltet das solarbetriebene Licht in ihrer Hütte ein.

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Dieses Projekt wurde vom European Journalism Center im Rahmen des Solutions Journalism Accelerator gefördert. Die Förderung wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.

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